Renoir und Monet an der Coté d’Azur

Renoir und Monet am Cap Martin – Ein Disput in Farben

Es war im Frühjahr 1884, als sich Auguste Renoir und Claude Monet auf eine Studienreise an die Côte d’Azur begaben. Noch war diese Küste kein touristisch überfüllter Sehnsuchtsort, sondern ein herbes, beinahe unberührtes Stück Mittelmeerlandschaft, an dessen Abhängen Olivenhaine silbrig glänzten und das Meer im wechselnden Licht unendliche Nuancen von Blau, Grün und Türkis auffächerte. Beide Künstler waren angetrieben von der Idee, das mediterrane Licht in seiner Fülle zu bannen – doch gerade dieses Ziel führte sie in eine leidenschaftliche Auseinandersetzung.

Am Zollweg oberhalb von Cap Martin, von wo der Blick weit nach Osten über Menton und die ligurischen Küsten fiel, standen sie nebeneinander mit ihren Staffeleien. Renoir, ganz versunken, trug mit breitem Pinsel Ströme warmer, vibrierender Farben auf die Leinwand auf. Monet hingegen verfolgte die Nuancen des Lichtes minutiös, als wollte er jeden flüchtigen Reflex festhalten, jeden Sonnenstrahl aufbrechen in seine feinste Erscheinung.

„Siehst du, Claude“, sagte Renoir mit einem halb spöttischen Lächeln, „dieses Meer hier verlangt nicht nach ziselierter Beobachtung, sondern nach Glut. Es ist kein Ort für Studien des Vorübergehenden. Man muss die Sinnlichkeit des Ganzen erfassen, die Wärme, die den Körper wie eine zweite Haut umhüllt. Siehst du, wie das Blau nicht kalt ist, sondern eine Umarmung?“

Monet antwortete, ohne den Blick von seiner Leinwand zu lösen: „Du sprichst von Wärme, Auguste, aber das Meer ist nicht immer eine Umarmung. Sieh doch, wie es sich in tausend Schattierungen verändert, im Widerschein der Wolken, im Atem des Windes. Hier am Cap Martin, von diesem Weg hinab nach Menton, ist jeder Augenblick ein anderer. Meine Pflicht ist es, die Flüchtigkeit zu bewahren, das Flirren, das niemals stillsteht.“

Renoir schüttelte den Kopf. „Flüchtigkeit, ja. Aber wenn du dich in der Flüchtigkeit verlierst, bleibt das Herz außen vor. Die Menschen wollen nicht nur den Wind und die Welle sehen, sondern die Freude, die Leidenschaft, die in diesen Farben brennt. Deine Genauigkeit verfehlt das, was die Côte d’Azur ausmacht: ihre Sinnlichkeit, ihr ewiges Fest.“

Monet lächelte schmal, fast melancholisch. „Vielleicht. Aber ohne die Treue zum Licht wird das Fest zur Pose. Ich glaube, es gibt Wahrheit nur in der Hingabe an das Sehen. Und wenn das Meer in der einen Minute violett, in der nächsten silbrig-grün ist, dann muss auch die Malerei dies atmen. Das ist mein Cap Martin: ein Ort, der sich entzieht, weil er immer neu geboren wird.“

Ihre beiden Bilder vom Zollweg, beide mit dem Blick auf Menton, tragen Spuren dieser Divergenz. Bei Renoir die leuchtende Wärme, ein fast körperliches Glühen der Landschaft, die zu tanzen scheint wie Figuren in seinen Pariser Szenen. Bei Monet das Zartspiel von Übergängen, das Meer im Rhythmus der Zeit, ein Tableau des Augenblicks, das sich der Ewigkeit gerade dadurch nähert, dass es sie nie festhält.

Und so wurde ihr Disput nicht zu einer Trennung, sondern zu einer Ergänzung. Die Côte d’Azur offenbarte ihnen beiden ihre Wahrheit – die eine in der Glut des Erlebens, die andere in der Treue zum Licht. Zwischen Renoirs sinnlicher Umarmung und Monets flüchtiger Beobachtung liegt die ganze Spannweite des Impressionismus, geboren am Cap Martin, über den schmalen Zollweg hinweg, mit Blick auf das kleine, goldene Menton, das sich wie ein Versprechen ins Meer neigte.


Beitrag veröffentlicht

in

, ,

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert