Lied von der Unzulänglichkeit menschlichen Strebens

von Bertold Brecht

Der Mensch lebt durch den Kopf
der Kopf reicht ihm nicht aus
versuch es nur; von deinem Kopf
lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlau genug
niemals merkt er eben
allen Lug und Trug.

Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höh´res Streben
ist ein schöner Zug.

Ja; renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr!
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht anspruchslos genug
drum ist all sein Streben
nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
drum hau ihn auf den Hut
hast du ihn auf den Hut gehaut
dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht gut genug
darum haut ihn eben
ruhig auf den Hut.

Und nun der Text des Liedes “Der Musikkritiker” von Georg Franz Kreisler:

Heute findet jede Zeitung
Größere Verbreitung durch Musikkritiker
Und so hab auch ich die Ehre
Und mach jetzt Karriere als Musikkritiker
Ich hab zwar ka Ahnung, was Musik ist
Denn ich bin beruflich Pharmazeut
Aber ich weiß sehr gut, was Kritik ist
Je schlechter, um so mehr freun sich die Leut

Es gehört zu meinen Pflichten
Schönes zu vernichten als Musikkritiker
Sollt ich etwas Schönes finden
Muß ich’s unterbinden als Musikkritiker
Mich kann auch kein Künstler überlisten
Da ich ja nicht verstehe, was er tut
Drum sag ich von jedem Komponisten
Erst nachdem er tot ist, ist er gut

Ja, endlich hab ich einen Posten
Und die Zeitung läßt es sich was kosten
Ich sitzt auf dem ersten Platze
Und die Sänger sehen meine Fratze
Orff und Eck und Boris Blacher
Fürchten meine hohnerfüllten Lacher
Hindemith, Strawinsky und Varese sind zwar gut
Doch ich bin bese

Ja, ich könnt zufrieden sein
Das Schicksal hat mich reich beschert
Aber oh, mich belastet nur eine Verrücktheit
Ich merk es in jedem Konzert
Ich seh, wie das Publikum weich wird wie Wachs
Wenn Musik alle Sinne bewegt
Ich seh, wie beim Zuhören manch trutzigem Manne
Ein Tränchen die Brille beschlägt
Nur für mich hat das Zuhören keinen Sinn
Weil ich unmusikalisch bin

Ich seh, wie ein liebliches Mädchen
Die Hand Ihres Jünglings ergreift und sie drückt
Wie ein Großmütterl zitternd die Halskette auzieht
Weil sie sonst vor Rührung erstickt
Nur ich sitz’ da und hör nicht einmal hin
Weil ich unmusikalich bin

Zu Weihnachten schenkt man mir immer Platten
Ich brauch Krawatten und neue Schuh
Wo ich auf Besuch bin, spielt man Platten
Ich sitzt im Schatten und hör nicht zu
Aber andre hörn zu und der Zauber der holden Musik
Macht die ganze Welt schwach
Die Bösen wer’n gut und die Kranken gesunden
Besonders bei Mozart und Bach
Nur ich sitz da und kratz mich stur am Kinn
Weil ich unmusikalisch bin

Tja, als Kind hab ich zwar Klavier gelernt und übte brav zu Haus
Doch über gewisse Stücke kam ich nie hinaus
Dann hab ich auch noch Geige gelernt und übte brav und viel
Und dann ist mein Geigenlehrer g’storben und hat mir sein Geld vermacht
Unter der Bedingung, daß ich nie mehr spiel
Aber etwas mußt ich schließlich tun und versuchte es als Autor
Und ein Verleger, zu dem ich kam, flüsterte mir ins Ohr
Schreiben Sie doch ein Buch über Schubert
Schreiben Sie doch ein Buch über Schubert
Also ging ich froh nach Hause, setzte mich nieder und ich schrieb

Schubert war ein Stierer, großer Komponierer
Er hat nie ein Geld gehabt
Also ist er heute der Verlierer
Er schrieb gar viele Töne
Sicher auch wunderschöne
Für mich sind sie leider bestialisch
Denn ich bin ganz unmusikalisch
Ob es jetzt Schubert oder Tschaikowsky
Brahms oder Liszt oder Dnjepropretrowsky
Ob Sinfonie oder Ouvertüre, Rock’n’Roll oder die Walküre
Zauberflöte, Verkaufte Braut
Für mich ist das alles nur laut!

Das Buch war sofort ein Riesenerfolg und es sagten mir viele Herren
Genial, großartig! Sie müssen Kritiker werden!
Ich sagte ja
Und es geschah!
Ich geh in Konzerte und Opern hinein
Und ich hör mir den Unsinn dort an
Den Leuten gefällt’s und ich komm zu dem Schluß
An Musik ist vielleicht etwas dran
Nur was dran ist, will mir nicht in den Sinn
Weil ich unmusikalisch bin

Die Orgel erklingt und ein Knabenchor singt
Und der Kontrapunkt tut sich verzerweigen
Die Pauke zersplittert, der Kapellmeister zittert
Und angeblich schluchzen die Geigen
Am Schluß erdröhnt ein donnernder Applaus
Ich bin der einzige unmusikalische Mensch in Haus

Aber heute findet jede Zeitung
Größere Verbreitung durch Musikkritiker
Und so hab auch ich die Ehre
Und mach jetzt Karriere als Musikkritiker
Ich hab diesen Posten schlau erbeutet
Und ich hasse nichts so wie Musik
Und daß mir Musik so nichts bedeutet
Zahl ich jetzt den Musikern zurück

Ah – wartet nur, ihr sollt es büßen
Lebet zu den Füßen des Musikkritikers!
Daß die Welt es wisse
Lest die lustigen Verrisse des Musikritikers!
Ich bin konsequent, und ich erkenne kein Talent
Und da ich weiß, daß ich nichts kann
Laß ich auch niemand andern ran!
Und der Redakteur schätzt meine schlechte Meinung sehr
Und schreit das Publikum: “Hurra!”
Das nützt euch nichts, dann ich bin da!
Und eure Kollegen geben immer ihren Segen
Denn jedem Künstler ist es recht
Spricht man von andern Künstlern schlecht!
Nieder mit Musik!


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