Thomas Mann über Wagner, Nietzsche und Freud

Thomas Mann über Wagner, Nietzsche und Freud – Deutschtum im Spiegel der Moderne

Wenn Thomas Mann das Wort ergreift, horcht man auf – nicht nur wegen der Eleganz seiner Sprache, sondern wegen der Schärfe seines Blicks auf die deutsche Kultur. In seinem Vortrag vom 10. Februar 1933 über Richard Wagner wagte er eine Deutung, die den Komponisten aus dem Bannkreis nationalistischer Verehrung löst und ihn in die Nähe einer anderen, gerade erst wirksam werdenden Autorität rückt: in Sigmund Freud’s neue Ideen.

Thomas Mann entwirft Richard Wagner als Künstler einer gebrochenen Moderne, als eine Gestalt, die nicht in der Erhabenheit ruht, sondern von inneren Zwiespalten gezeichnet ist. Die Überfülle, das Pathos, die ekstatische Übersteigerung seiner Musik erscheinen bei Mann wie Symptome eines psychischen Kampfes – Ausdruck des Unbewussten, das Freud erstmals sichtbar gemacht hatte.

Gerade in dieser Lesart wird das „Deutschtum“ Wagners nicht als stolze, makellose Kraft begriffen, sondern als ein geistiges Gewebe von Größe und Krankheit, von schöpferischer Vision und zersetzender Selbstanalyse. Wagner ist für Mann kein Nationalheiliger, sondern der erste große Repräsentant eines modernen, sich selbst infrage stellenden Deutschland.

Doch Thomas Mann blieb nicht bei der psychoanalytischen Deutung stehen. Er zog die Linien weiter – zu Friedrich Nietzsche, jenem Philosophen, der dem „Meister von Bayreuth“ zunächst glühend ergeben war, um sich dann in einem radikalen Bruch von ihm abzuwenden. Für Mann war gerade dieses Verhältnis aufschlussreich: Nietzsche erkannte im Rauschhaften, in der Dämonie und Maßlosigkeit Wagners die Gefahr einer Übersteigerung, die ins Krankhafte kippen konnte.

In Nizza, wo Mann zeitweise lebte, spürte er die gleiche Spannung zwischen Krankheit und Schöpfung, die Nietzsche im Süden so eindringlich erfahren hatte. Nizza, mit seinem Licht und seiner Weite, wurde für beide zu einem Kontrastbild – ein Ort der Genesung und Klarheit, zugleich aber auch der schmerzhaften Selbstbeobachtung. Wagner verkörperte für Mann das abgründig Deutsche, Nietzsche hingegen die kritische, klärende Instanz, die dieses Erbe verwarf und zugleich schöpferisch verwandelte.

Doch in dieser Konstellation spiegelte sich immer auch Thomas Mann selbst. Wie Wagner verstand er sich als Künstler, der aus innerer Zerrissenheit schöpfte. Die „bürgerliche Solidität“, die er nach außen verkörperte, überdeckte nur teilweise die Abgründe und Ambivalenzen, die sein Werk nährten. Von Nietzsche übernahm er die Rolle des Selbstanalytikers, der Schwäche erkennt, sie kritisch durchdringt und dadurch überwindet.

In Nizza, im Licht der Côte d’Azur, wurde Mann diese Selbstdeutung besonders klar. Der Süden ließ ihn erkennen, dass das Deutschtum nicht nur Schicksal war, sondern eine Aufgabe: es kritisch zu reflektieren, seine Gefahren zu benennen und es von innen her zu verwandeln. Wagner, Nietzsche und Freud bildeten für ihn keine bloßen Bezugsgrößen, sondern Spiegelungen seiner eigenen Existenz.

Damit führt dieser Vortrag über Wagner weit über die Musik hinaus. Er erweist sich als Schlüsseltext auf dem Weg Thomas Manns vom Verteidiger des „deutschen Wesens“ in den Betrachtungen eines Unpolitischen hin zum scharfen Kritiker, der im Exil dem Nationalsozialismus entgegentrat. Was in Nizza im Nachdenken über Wagner und Nietzsche begann, fand seine Konsequenz in der klaren Absage an ein selbstzerstörerisches Deutschtum.

Thomas Manns Wagner-Deutung ist so ein Dokument geistiger Selbstfindung: die Verknüpfung von Musik, Philosophie und Psychoanalyse zu einer Trias der Moderne – und zugleich das Bekenntnis eines Dichters, der im Spiegel Wagners und Nietzsches sein eigenes Schicksal erkannte.

Thomas Mann und Friedrich Nietzsche

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